Baden nach Herzschlagfinale deutscher Meister!
Deutsche Seniorenmannschaftsmeisterschaft der Landesverbände vom 9. bis 15. Oktober 2016 in Magdeburg · von Clemens Werner
An Nummer zwei der Rangliste gesetzt legte das badische Team einen klassischen Fehlstart hin. Nach drei Runden waren gerade mal 50% auf der Habenseite. Überhaupt zum ersten Mal seit seinem Debut 2012 hatte Mikhail Nekrasov eine Partie bei den DSMM verloren, ich selbst musste mich mit drei Remisen begnügen, Christof Herbrechtsmeier durfte neben zwei Kurzremisen mit Weiß eine Blackmar-Diemer-Lehrstunde über sich ergehen lassen, nur Gerhard Kiefer hatte mit 2:1 ein positives Punktekonto. Somit schien schon mal klar zu sein, dass der Titelkampf ohne badische Beteiligung erfolgen würde.
Jedoch ab der vierten Runde begann eine Aufholjagd. Nach drei Siegen in Folge ging es in der Schlussrunde gegen die starken Bayern, die kurz zuvor gegen Turnierfavorit NRW gewonnen hatten. Herbrechtsmeier spielte in Runde 7 zum sechsten Mal remis. Er hat in den letzten Jahren seinen SK Emmendingen sehr erfolgreich spielen lassen und sich angewöhnt, Leistung von seinen Mannschaftsspielern zu fordern. Diese Gewohnheit hat er nun auch bei diesem Turnier erfolgreich ausgeübt. Auch Mikhail musste sich aufgrund einer Lücke in der Vorbereitung mit einem raschen Remis begnügen. Bei Gerhard sah es zum Glück sehr gut aus, er hatte einen chancenreichen geschlossenen Spanier mit Raumvorteil und Angriffschancen auf dem Brett. In Anbetracht dieser Aussichten gab ich meine ausgeglichene Stellung auch remis, so dass nun alles von Gerhards Spiel abhing. Das war eigentlich schon etwas leichtsinnig, wie man am Verlauf der unten analysierten Partie sehen kann. Vor der letzten Runde sah es bei unserem Wettkampf nach einem Ringen um Platz zwei aus, da das auch noch punktgleiche NRW mit einem Sieg und den besten Brettpunkten vornegelegen wäre. Doch für dessen Gegner Berlin, den wir in der 6. Runde knapp bezwungen hatten, zeichnete sich nach drei Stunden ein Sieg ab. Nun winkte im Falle eines badischen Siegs sogar noch der Meistertitel, an den niemand mehr gedacht hatte! Und tatsächlich, Gerhard gewann.
Dass bei uns der „Angstfaktor“ zu groß war, sieht man an 17 Remispartien bei neun Siegen und nur zwei Niederlagen. Keine Angst hatte eigentlich nur Gerhard Kiefer. Er hat ein ganz starkes Turnier gespielt und mit 5,5 Punkten den größten Beitrag zum Titelgewinn geleistet. Auch bei seinen drei Remispartien kämpfte er durchschnittlich 49 Züge. Ich selbst habe mit 5 Punkten nicht schlecht gespielt, aber zu viel remisiert ( durchschnittliche Zügezahl war dabei 35). Mikhail (4/7) hatte die stärksten Gegner, war aber nicht in Höchstform. Seine Remispartien dauerten im Schnitt 27 Züge. Christof stellte einen besonderen Rekord auf: bei seinen sechs Remisen spielte er durchschnittlich 21 Züge. Er erzielte zwar keinen Sieg am Brett, aber er wurde deutscher Meister. Seine Remisen waren natürlich auch ein wichtiger Beitrag zum Gesamterfolg. Aber unser großer Held war dieses Mal zweifellos Gerhard Kiefer! Baden erreichte so den Titel übrigens in der gleichen Besetzung wie beim letzten großen Erfolg 2013! Damals war Christof mit 4-3-0 erfolgreichster Spieler gewesen, beim SK Emmendingen spielte er in 12/13 noch Brett 1. Den zweiten Platz holte Titelverteidiger Württemberg durch einen 3,5:0,5 – Kantersieg gegen Sachsen-Anhalt auch noch ins Ländle, Dritter wurde NRW-Bezwinger Berlin.
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[Event "DSMM 2016"]
[Site "Magdeburg"]
[Date "2016.10.16"]
[Round "7"]
[White "Kiefer, Gerhard"]
[Black "Oechslein, Rainer"]
[Result "1-0"]
[ECO "C99"]
[WhiteElo "2237"]
[BlackElo "2278"]
[Annotator "Clemens Werner"]
[PlyCount "117"]
[SourceDate "2016.10.16"]
1. e4 e5 2. Nf3 Nc6 3. Bb5 a6 4. Ba4 Nf6 5. O-O Be7 6. Re1 b5 7. Bb3 d6 8. c3
O-O 9. h3 Na5 10. Bc2 c5 11. d4 Qc7 12. Nbd2 cxd4 13. cxd4 Nc6 14. Nb3 Nb4 15.
Bb1 {die beiden Altmeister spielen wie in Anand-Ivanchuk, Monte Carlo 2011.} a5
16. Be3 a4 17. Nbd2 Bd7 18. a3 Nc6 19. Bd3 Qb7 20. Qe2 Rab8 {alles schon
dagewesen, der weiße Vorteil ist nicht allzu groß} 21. b4 Rfe8 $6 {den
b-Bauern sollte man en-passant wegnehmen oder wenigstens jetzt auf d4 tauschen.
Mit dem Turmzug wollte Rainer Oechslein wahrscheinlich exd4 vorbereiten, aber
dazu kommt es nach dem nächsten weißen Zug nicht mehr.} 22. d5 $1 {das
bringt Raumvorteil, die schwarzen Leichtfiguren sind in ihrer Beweglichkeit
erheblich eingeschränkt.} Na7 23. Rac1 Bd8 24. g4 h6 25. Nf1 Bb6 {inzwischen
hatten die drei anderen Badener ihre Partien mit Remis beendet und dem armen
Gerhard Kiefer mit seiner guten Stellung die ganze Verantwortung über das
Abschneiden der Mannschaft aufgebürdet!} 26. Bd2 $1 {Das Zentrum ist
geschlossen, nur die c-Linie ist offen. Weiß plant nun wie so oft im
geschlossenen Spanier einen Königsangriff, da ist jeder Abtausch abträglich.}
Rbc8 27. Rcd1 {das Abtauschverbot gilt auch für die Türme! Da es für den
schwarzen Turm kein Einbruchsfeld gibt, riskiert der Weiße, die c-Linie dem
Schwarzen zu überlassen, da jeder Abtausch den Verteidiger entlasten würde.}
Kh7 28. Nh4 g6 $1 {natürlich lässt der Nachziehende nicht freiwillig einen
Springer nach f5 kommen.} 29. Qf3 Bd8 30. Ng3 Rf8 31. Ng2 Kg7 32. Kh2 Rc7 33.
Ne3 Ng8 34. Rg1 Bg5 $2 {das sieht gut aus, da der Läufer die schwarzen Felder
zu kontrollieren scheint. Tatsächlich ist es ein Fehler, da sich der Läufer
nicht behaupten kann, wenn Weiß richtig reagiert!} 35. Ngf5+ $6 ({findet bei
schon knapper Bedenkzeit nicht das gewinnbringende} 35. h4 $3 Bxh4 36. Nef5+
gxf5 37. Nxf5+ Bxf5 38. gxf5+ Kf6 39. Qh5 Ke7 (39... Bg5 40. Bxg5+ {wird in
drei Zügen matt}) 40. Qxh4+ {mit entscheidendem Vorteil für Weiß. Kiefer
kennt aber keine Angst, bei nur noch wenigen Minuten auf der Uhr opfert er
mutig den Springer, denn nur ein Sieg könnte Baden noch den Titel bringen,
wenn Berlin gegen NRW Schützenhilfe leistet. Und die zeichnete sich ab, denn
nach dem Remis an Brett 1 zwischen Ackermann und Dr.Glienke konnte man
inzwischen zwei Berliner Gewinnstellungen von Dr. Baumbauch gegen Rotstein und
der großartig aufspielenden Brigitte Burchardt gegen Karl-Heinz Hüttemann
bewundern. Die Berliner Meisterin war übrigens die einzige am Turnier
teilnehmende Frau und räumte an Brett vier mit 6 Punkten aus 7 Partien ab!})
35... gxf5 36. gxf5 {nun hat Oechslein die große Chance, die Partie zu retten.
} f6 $2 {danach ist für Weiß wieder alles in Ordnung. Er bekommt die
geopferte Figur zurück, in den entstehenden Endspielen wäre die
eingeschränkte Beweglichkeit der schwarzen Leichtfiguren ein entscheidender
Nachteil. Schwarz hielt seine Königsstellung nach dem Rückopfer wohl für
sicher und wollte seine Schwerfiguren auf der siebten Reihe zum Königsflügel
überführen.} ({er sollte statt dessen} 36... Kf6 {spielen und mit dem König
die Flucht ergreifen. Zwar wäre die Stellung laut Computeranalyse dynamisch
im Gleichgewicht, aber für Menschen bei knapper Zeit praktisch weitaus
bequemer für Schwarz zu spielen.} {Houdini gibt beispielsweise folgende
Zugfolge an:} 37. Rxg5 hxg5 38. Qh5 Ke7 39. Ng4 f6 40. Qh7+ Kd8 41. Qg7 Re8 42.
Nxf6 Nxf6 43. Qxf6+ Kc8 44. Qxd6 Kb8 {und beurteilt diese Stellung mit 0.00.
Da gibt es reichlich Material für weitere Analysen!}) 37. h4 Be8 38. Nf1 Kh8
39. hxg5 hxg5 40. Rh1 Rh7+ {Zeitkontrolle! Klarer Vorteil für Weiß, aber da
kann noch viel passieren.} 41. Kg3 Rxh1 42. Qxh1+ Kg7 ({Das Endspiel nach}
42... Qh7 43. Qxh7+ Kxh7 44. Rc1 {gefällt dem Schwarzen zu Recht überhaupt
nicht!} {z.B.} Rf7 45. Be3 Rb7 46. Bxa7 Rxa7 47. Rc8 Bd7 48. Rb8 Rc7 49. Kg2 $1
Rc3 50. Be2 Rc7 (50... Rxa3 $2 51. Rb7) 51. Rb6 $18 {und Weiß sammelt
zunächst mal den d-Bauern ein.}) 43. Be3 Ne7 44. Nd2 Rh8 45. Qf1 Nac8 46. Rc1
Nb6 47. Rc2 Bd7 48. Qc1 Rc8 $2 {jetzt verpasst Schwarz seine zweite Chance,
das Ruder herumzureißen!} (48... Nbxd5 $1 49. exd5 Qxd5 50. Be4 Nxf5+ 51. Kf3
Qe6 $17 {und die schwarzen Leichtfiguren sind plötzlich wieder beweglich!})
49. Rxc8 Nexc8 50. Nf3 Be8 51. Bxg5 $3 {erneut opfert Weiß eine Figur, dieses
Mal aber völlig korrekt} fxg5 52. Nxg5 $6 ({jetzt wäre} 52. f6+ $1 {sofort
tödlich gewesen, z.B.} Kxf6 53. Qxg5+ Kf7 54. Qh5+ Kf6 55. Qxe8 Qf7 56. Qxf7+
Kxf7 57. Bxb5 $18) 52... Qe7 $1 {einziger Zug!} (52... Kf8 $2 53. Ne6+ Kg8 (
53... Kf7 54. Qh6 Kg8 55. Qf8+ Kh7 56. Ng5#) (53... Ke7 54. Qg5+ Kd7 55. Qd8#)
54. Qg5+ Kh7 55. Bxb5 Bxb5 56. Qg6+ Kh8 57. Qh6+ Kg8 58. Qf8+ Kh7 59. Ng5# {
hübsches Mattbild!}) (52... Kg8 $2 53. f6 Nd7 54. Ne6 Nxf6 55. Qg5+ Kh7 56.
Qxf6 Qe7 57. Qxe7+ Nxe7 58. Nc7 Bd7 59. Bxb5 Bxb5 60. Nxb5 Nc8 61. f4 $18) 53.
Ne6+ Kh7 54. Qh1+ Kg8 55. Qh6 Qf7 $2 {der letzte, wenn auch naheliegende
Fehler. Die Dame soll beim Verteidigen helfen, aber das Gegenteil tritt ein:
Schwarz gibt mit diesem Zug die Kontrolle über g5 auf.} (55... Na7 56. f4 $14
(56. f6 $2 Qf7 $11) (56. Be2 Nd7 $14)) 56. Be2 $1 {die im Stall wartenden
Rappen können einem Leid tun! Der spanische Läufer dagegen, der bis zum 19.
Zug sechsmal bewegt worden war und seither auf d3 bereit stand, bringt nun die
Entscheidung!} Nd7 {die Hilfe kommt jetzt zu spät!} 57. Qg5+ $1 Kh7 58. Bh5
Qg8 (58... Qxh5 59. Qg7#) 59. Bxe8 {und Schwarz streckt die Waffen!} ({z.B.}
59. Bxe8 Qxg5+ 60. Nxg5+ Kh6 61. Bxd7 Nb6 62. Nf7+ Kg7 63. Nxd6 Nxd7 64. Nxb5
$18) 1-0
[/pgn]