Deutsche Seniorenmeisterschaft: Clemens‘ Bericht

Deutsche Senioren-Einzelmeisterschaft vom 13.8. bis 21.8 2016 in Niedernhausen (Taunus)
Welche Rolle spielen die Rahmenbedingungen für das Abschneiden?
(Spielbericht und kommentierte Partien von Clemens Werner)

Nach der missglückten Mannschafts-WM musste ich mich der Frage stellen, ob das Alter nun doch seinen Tribut einforderte. In Radebeul hatte ich mit einem Sieg begonnen, dann folgten sieben Remisen und in der letzten Runde leistete ich mir einen grauenhaften Fehler und verlor. Während des Turniers baute ich offensichtlich ab. Mit dem nur theoretisch klimatisierten 18-qm-Zimmer, das nicht richtig zu verdunkeln ging, war ich äußerst unzufrieden gewesen. Der Kleiderschrank war winzig, wir mussten die Koffer als Ersatzschränke nutzen. Die Lüftung im Bad lief manchmal nachts, man hatte darauf keinen Einfluss, ein- oder ausschalten konnte man sie nicht. Dass wir uns das Klopapier selbst kaufen mussten und das Zimmer nur alle drei Tage gereinigt wurde, hätten wir gegen Aufpreis umgehen können, das war also mein eigener Fehler. Als Ausrede für mein schlechtes Spiel schien mir das Ganze nicht wichtig genug, wie man in meinem WM-Bericht nachlesen kann. Übrigens gab es z. B. für meinen Freund Dr. Kierzek und seine Frau ein besseres Zimmer im Hauptgebäude – zum gleichen Preis.

Nun habe ich Konsequenzen gezogen und die Unterkunft bei der Deutschen Meisterschaft selbst gebucht. Ich zahlte einen Organisationsbeitrag und konnte so ein 54-qm-Apartment direkt beim Turnierhotel ergattern. Jeden Tag Zimmerservice, Rolläden, Fenster im Bad, große Schränke, kleine Küche, jetzt gab es keine Ausrede mehr! Der Zimmerpreis war übrigens fast identisch mit dem in Radebeul, aber sonst war alles anders! Und siehe da, der schachliche Erfolg kehrte zurück.

Über 200 Teilnehmer, davon 133 im A-Turnier, kämpften in neun Runden um die Titel. Mit 7 Punkten aus neun Partien wurde ich Vizemeister hinter Altmeister Boris Khanukov, der als einziger 7,5 Punkte holte, weshalb seine miserable Buchholzzahl nichts ausmachte. Mit seinen 77 Jahren schaffte er gleich auch noch den Nestorentitel. Er hatte die ersten drei Runden remisiert und anschließend sechsmal in Folge gewonnen. Ebenfalls sieben Punkte aber weniger Buchholz als ich erzielte Horst Degenhardt. Den undankbaren vierten Platz belegte der acht Runden lang in Führung gelegene Elofavorit Hans-Werner Ackermann (6,5/9), der die Schlussrunde gegen Khanukov verlor. Schon ein Remis hätte ihm zum Titel gereicht. Der frühere KSFler Christof Herbrechtsmeier erzielte ebenfalls 6,5 Punkten und wurde nach Buchholzwertung Siebter. Den Damentitel verteidigte Mira Kierzek erfolgreich.

Rudi Müller hatte fast wie ich einen Start nach Maß hingelegt (2,5/3). Die Crux war für ihn eine Niederlage in der vierten Runde gegen IM Salov aus einer gewonnenen Stellung heraus. Rudi hatte eine 19 km entfernte Unterkunft gebucht, vielleicht war die tägliche Fahrerei auch nicht gerade vorteilhaft für ihn? Zum Schluss hatte er 4,5 Punkte auf der Habenseite. Das entsprach eher nicht seinen Ansprüchen, nachdem er im Juli beim Rheinland-Pfalz-Seniorenopen 6,5/9 erzielt hatte.

Blitzmeister wurde Anatoli Donchenko vor Klaus Klundt und Berthold Engel. Platz vier schaffte unser Hajo Vatter. Er war wie die ersten drei eigens zur Blitzmeisterschaft angereist.


Drei Partien von Clemens Werner zum Nachspielen. – Die Auswahl der Partie geschieht über die mit … gekennzeichnete Kopfzeile.

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[Event „DSEM“]
[Site „Niedernhausen“]
[Date „2016.08.21“]
[Round „9“]
[White „Gruzmann, Boris“]
[Black „Werner, Clemens“]
[Result „0-1“]
[ECO „B12“]
[WhiteElo „2223“]
[BlackElo „2300“]
[Annotator „Werner,Clemens“]
[PlyCount „76“]

1. e4 c6 2. d4 d5 3. e5 Bf5 4. h4 h5 5. c4 e6 6. Nc3 Ne7 7. Bg5 {Der Modezug,
den auch die Supergroßmeister spielen} dxc4 ({aber nicht} 7… Nd7 8. cxd5
cxd5 9. Nb5) 8. Bxc4 Nd7 9. Nge2 f6 10. exf6 gxf6 11. Be3 Nb6 12. Bd3 Qd7 13.
Ng3 Bxd3 14. Qxd3 O-O-O 15. Qe2 Qe8 16. a4 Nbd5 17. Bd2 Nc7 18. Nce4 Ned5 19.
Rc1 Qg6 20. a5 $6 a6 $1 {danach ist die schwarze Königsstellung sicher} 21.
O-O Qg4 $1 {nun war ich zuversichtlich, durch einen Sieg gegen den
Titelverteidiger noch Vizemeister zu werden!} 22. f3 $1 {Bravo! Gruzmann
verteidigt sich wie so oft sehr phantasievoll! Ein Remisangebot schickt er
hinterher, ich bin aber dafür ausnahmsweise nicht in der richtigen Stimmung} (
{das Endspiel nach} 22. Qxg4 hxg4 {konnte ihm natürlich nicht gefallen:} 23.
h5 f5 24. Ng5 Rd7 $19 {, da h5 nicht zu halten ist}) 22… Qxh4 {nimmt die
Herausforderung an!} ({Houdini zieht} 22… Qg6 {mit Druck auf der g-Linie vor}
) 23. Be1 ({mit} 23. Kf2 $1 Bd6 24. Nxd6+ Rxd6 25. Qe4 $1 {konnte Weiß den
Kopf aus der Schlinge ziehen!} {Das Endspiel nach} Qxe4 26. fxe4 Ne7 {bietet
Schwarz nur einen kleinen Vorteil. Diese Stellung hatte ich überhaupt nicht
auf dem geistigen Bildschirm gehabt}) 23… f5 $1 24. Nxf5 Qf4 {Der Tc1 hängt
auch!} 25. Nfd6+ (25. Nfg3 Qxc1) 25… Bxd6 26. Bg3 Qf8 27. Nxd6+ Rxd6 28. Bxd6
Qxd6 29. Qe5 Qf8 {gefiel mir besser als der Computerzug 29. …Dxe5 -+, da ich
die schwache weiße Königsstellung ausnutzen wollte} 30. f4 Ne7 $6 {soll
Linienöffnungen verhindern} 31. Qd6 {droht nichts!} ({Weiß hätte} 31. d5
Nexd5 32. f5 exf5 33. Rxf5 Qd8 {versuchen sollen}) 31… Rg8 {da braut sich
etwas zusammen} 32. Rf2 h4 33. Rc3 Qf6 {deckt e6 und droht Sb5} 34. Qe5 Qg6 35.
Re3 Nf5 36. Re1 {er will die Grundreihe gegen ein drohendes Schach auf b1
schützen} h3 37. Qe4 h2+ 38. Kxh2 Rh8+ {und Weiß gibt auf. Das Damenopfer 39.
…Sg3 möchte er sich nicht mehr zeigen lassen!} 0-1

[Event „DSEM“]
[Site „Niedernhausen“]
[Date „2016.08.20“]
[Round „8“]
[White „Werner, Clemens“]
[Black „Herbrechtsmeier, Christof“]
[Result „1/2-1/2“]
[ECO „A43“]
[WhiteElo „2300“]
[BlackElo „2257“]
[Annotator „Werner,Clemens“]
[PlyCount „83“]

1. d4 {Kein c3-Sizi, auf den sich Christof sicher gründlich vorbereitet hatte!
} Nf6 2. Nf3 g6 3. Nc3 {und kein Grünfeldindisch, in dem Christof mindestens
40 Jahre Erfahrungsvorsprung hat} c5 4. d5 ({mit} 4. dxc5 Qa5 5. e4 Nxe4 6. Qd4
Nf6 {erhält Weiß auch eine schöne Stellung, aber gegen Altbenoni habe ich
ein sehr gutes Score.}) 4… d6 5. e4 Bg7 6. Bb5+ Nbd7 7. a4 O-O 8. O-O a6 9.
Be2 Ne8 10. Bg5 h6 11. Be3 Kh7 12. Nd2 e5 13. dxe6 $6 {Houdinin möchte die
Stellung geschlossen halten. Mir gefiel die so entstehende königsindische
Stellung nicht ganz so gut, da mein Entwicklungsvorsprung an Bedeutung
verlöre.} fxe6 14. Nc4 Ne5 15. Nxe5 ({auf den von Christof in der Analyse
vorgeschlagenen „einfachen Bauerngewinn“} 15. Bxc5 {habe ich im Hinblick auf}
Nxc4 16. Bxc4 Qc7 {lieber verzichtet.}) 15… Bxe5 16. f4 (16. Bxc5 {kam auch
in Betracht, nach} Bxh2+ 17. Kxh2 Qh4+ 18. Kg1 dxc5 19. Qd2 Rf7 20. Qe3 b6 21.
Rfd1 {steht Weiß überlegen}) 16… Bf6 17. e5 Be7 18. exd6 Bxd6 19. Qd2 (19.
Qd3 $5 {wirft einen Blick auf g6}) 19… b6 20. Ne4 (20. a5 $1 {zerrupft die
schwarzen Damenflügelbauern}) 20… Bb7 21. Bf3 Qc7 22. g3 (22. Nxd6 Nxd6 23.
Bxb7 Nxb7 24. Rad1 Rad8 25. Qe2 {behauptet den Vorteil}) 22… Rd8 23. Qg2 Bxe4
24. Bxe4 Nf6 25. Kh1 $6 {Teil eines falschen Plans} ({besser ist} 25. Bf3)
25… c4 {Schwarz sollte den Läufer nehmen, auch wenn die weiße Dame nach} (
25… Nxe4 26. Qxe4 {im Zentrum stark steht}) 26. Rae1 Bc5 27. Bc1 $6 (27. Bxc5
{gäbe das Läuferpaar auf, aber nach} Qxc5 28. Bb7 Ng4 29. Qf3 h5 30. h3 Nh6
31. Rxe6 {kann Weiß mit dem Mehrbauern hochzufrieden sein}) 27… b5 $2 (27…
Rd6 28. Bf3 Qd7) 28. axb5 axb5 29. Bf3 Qf7 30. Qh3 $1 {die Dame schaut auf e6
und h6} Rd6 31. Re5 $6 {versäumt den schnellen Gewinn.} ({Ich dachte zwar
über} 31. f5 $1 exf5 32. Bxh6 Rh8 {nach,} {fand aber das hübsche} 33. Re7 $3
{nicht, das nach} Qxe7 34. Bf8+ Kg8 35. Qxh8+ Kxh8 36. Bxe7 $18 {ein
Gewinnstellung ergibt}) 31… Nd7 32. Re2 Re8 33. Rfe1 e5 $2 {Verzweiflung} 34.
Bg2 (34. Kg2 $18 {deckt den Läufer und verlässt die gefährdete Grundreihe})
34… e4 35. Bxe4 $2 {danach behält Schwarz mit seiner forschen Spielweise in
der Zeitnotphase recht} (35. Rxe4 Rxe4 36. Bxe4 {behauptet immer noch klaren
Vorteil!}) 35… Nf6 36. f5 $4 {verliert sofort} Nxe4 37. Qxh6+ Kg8 38. Rxe4
Rxe4 39. Rxe4 Qd5 $4 {gibt den halben Punkt bei knapper Bedenkzeit zurück} (
39… Rd1+ $1 40. Kg2 Qxf5 41. Re8+ Kf7 $1 {und der von mir nicht beachtete
Läufer verhindert den Einzüger!}) 40. Qf4 gxf5 41. Qg5+ Kf7 42. Qe7+ {
Dauerschach! Titeltraum ausgeträumt!} 1/2-1/2

[Event „DSEM“]
[Site „Niedernhausen“]
[Date „2016.08.18“]
[Round „6“]
[White „Ackermann, Hans-Werner“]
[Black „Werner, Clemens“]
[Result „1/2-1/2“]
[ECO „A04“]
[WhiteElo „2352“]
[BlackElo „2300“]
[Annotator „Werner,Clemens“]
[PlyCount „67“]

1. Nf3 c5 2. b3 Nc6 3. Bb2 d6 4. g3 e5 5. e4 {wenig planvoll} g6 6. Bg2 Bg7 7.
Nc3 Nge7 8. d3 O-O 9. Nd2 Be6 10. Nc4 {nun steht Schwarz bereit für d5 oder f5
} f5 11. a4 Qd7 12. Ne2 d5 13. exd5 Bxd5 14. Bxd5+ Nxd5 15. Nc3 {gerade erst
nach e2 zurückgezogen, taucht der Springer wieder auf seinem natürlichen
Feld auf. Aber so viele Tempoverluste hält auch eine relativ geschlossene
Stellung nicht aus.} Nd4 (15… Nxc3) 16. f3 $2 {er möchte die weißen Felder
stärken, aber das kommt zu spät} Nxc3 {damit der weiße Läufer ungedeckt
ist.} 17. Bxc3 e4 $1 ({über das noch stärkere} 17… Nxf3+ {hatte ich auch
nachgedacht, aber} 18. Qxf3 e4 19. dxe4 fxe4 20. Qe3 Rf3 $1 {übersehen!}) 18.
dxe4 fxe4 19. Bxd4 Bxd4 20. Qd2 exf3 {danach ist Weiß eigentlich chancenlos.}
21. O-O-O Qg7 22. Qg5 Rad8 23. Rd3 Be3+ (23… f2 24. Rf1 Rfe8 25. Rdd1 Be3+ {
hätte schnell gewonnen, aber ich wollte die Beherrschung der langen schwarze
Diagonale a1-h8 sofort ausnutzen}) 24. Qxe3 Rxd3 $2 ({nach} 24… Rde8 {
hätte es kein Dauerschach gegeben!} 25. Qg5 Qa1+ 26. Kd2 Re2#) 25. Qxd3 Qa1+
26. Kd2 Qxh1 {nun habe ich zwar den Turm kassiert, der schwarze König kann
sich aber dem Dauerschach nicht entziehen!} 27. Qd5+ Kg7 28. Qe5+ Rf6 29. Qe7+
Rf7 30. Qe5+ Kh6 31. Qe3+ Kg7 32. Qe5+ Kh6 33. Qe3+ Kg7 34. Qe5+ {mit einem
Sieg wäre ich allein in Führung gegangen, schade!} 1/2-1/2

[/pgn]